Erinnern und Gedenken
Verfolgung und Widerstand in Sangerhausen 1933-1945

Willkommen auf unserer Webseite

Wir informieren über Aktivitäten der Initiative Erinnern und Gedenken Sangerhausen sowie über inhaltlich ähnliche Veranstaltungen und Ereignisse in der Region. Dokumentiert werden auch Forschungsergebnisse zu einzelnen Personen und Personengruppen, die in Sangerhausen während des Nationalsozialismus verfolgt wurden bzw. Widerstand leisteten.  

Aktuell:

Sehr geehrte Besucherin, sehr geehrter Besucher der Informationsplattform

"Erinnerung und Gedenken Sangerhausen",

Die im Jahr 2007 gegründete Initiative von Seniorinnen und Senioren hat mit Ende 2022 ihre Aktivitäten aus Altersgründen beendet und Teilbereiche der bisherigen Arbeit in jüngere Hände übergeben.

Für Informationen steht für eine gewisse Zeit noch der vormalige Sprecher Initiative zur Verfügung:

Dr. Peter Gerlinghoff, Tel. 03464 260830


Über die letzten Aktivitäten der Initiative informieren diese Publikationen:

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13. November - Volkstrauertag 2022 - 11 Uhr am Kriegerdenkmal auf dem Sangerhäuser Friedhof

Alljährlich wird in der 2. Novemberwoche mit einer Kranzniederlegung der Opfer von Krieg und Gewaltherrschaft gedacht. Vor hundert Jahren wurde die Tradition Volkstrauertag mit einer Veranstaltung im Reichstag zur Erinnerung an die Toten des Ersten Weltkriegs  bbegründet. Und vor 100 Jahren wurde auch das Kriegerdenkmal auf dem Sangerhäuser Friedhof geweiht. Es erinnert an Gefallene, nicht an Schlachten oder Kriegshelden. Um die Gestaltung gab es in der Stadt heftige Auseinandersetzungen. Es war damals auch nicht möglich, Namen und Zahl der Opfer zu benennen. Als letzte Arbeit legt die Initiative eine erste umfassende Liste der Kriegsopfer des 1. Weltkriegs vor. Sie enthält dreimal mehr Namen als bislang bekannt und fast doppelt so viel wie bislang geschätzt. Erstmals können auch die innerstädtischen Auseinandersetzungen mit dem Krieg dokumentiert werden. Die Publikation wird am Volkstrauertag verfügbar sein. Die Initiative ruft zur Beteiligung am diesjährigen Volkstrauertag auf: Seine Mahung hat auch nach 100 Jahren nicht an Bedeutung verloren. Im Gegenteil.

Die Initiative Erinnern und Gedenken Sangerhausen verabschiedet sich

Mit dem Vorschlag, eine Gedenktafel für dem Widerstandskämpfer Helmut James von Moltke zu stiften und sie aus Anlass seines 100. Geburtstags an der Moltkewarte zu platzieren, begann im Jahr 2007 die Arbeit der Initiative. Das Scheitern des 1. Projektes offenbarte deutliche Defizite der örtlichen Erinnerungsarbeit, konnte die Entschlossenheit der Akteure nur verstärken. Es folgte eine lange Reihe unterschiedlicher Aktionen, mit jährlich mehreren Auftritten. Dazu gehörten u. a. Vorträge renomierter Historiker über Krieg und Widerstand gegen den Nationalsozialismus, selbstgestaltete Lesungen zu den Holocaustgedenktagen, die Verlegung von Stolpersteinen, ein Koloquium zur Euthanasie, Gedenkstättenfahrten, Zeitzeugenbegegnungen in Schulen, die Einladung von Nachkommen ehemaliger jüdischer Mitbürger aus den USA und Israel. Ein Posterprojekt stellte die Geschichte jüdischen Lebens in unserer Region dar. Rundbriefe mit Denkanstößen zu aktuellen Vorgängen erreichten einen größeren Leserkreis. Alle Aktivitäten waren ehrenamtlich und nahmen nur wenige öffentliche Mittel für Sachausgaben in Anspruch. Vieles wurde aus der eigenen Tasche bezahlt. Die Akteure gehörten der älteren Generation an und hatten als Jugendliche den 2. Welkrieg oder die unmittelbare Nachkriegszeit noch selbst erlebt. Erinnerungsarbeit war ihnen ein inneres Anliegen, und wenn sich die Initiative zum Jahresende 2022 verabschiedet, so können die an den Projekten Beteiligten mit berechtigtem Stolz zurückblicken.        

 9. September 2021 - Ausstellung im Spengler Museum eröffnet

Im Rahmen des Projektes "Synagogen und jüdische Kultur in Sachsen-Anhalt" erschien seit August 2018 vierteljährlich ein Poster, auf dem eine der während des Novemberpogroms 1938 zerstörten Synagogen vorgestellt wurde. Zu sehen waren die Plakate an bis zu 20 öffentlichen Orten, vorwiegend im Landkreis Mansfeld-Südharz, darunter Rathäuser, Museen, Schulen, Jugendclubs. Zu den ins Bild gesetzten Synagogen wurde eine Basisinformation über die betreffenden jüdischen Gemeinden, ihre Geschichte und wichtigsten Persönlichkeiten geboten. Autoren der Texte: Dr. Peter Gerlinghoff, Rüdiger Seidel, Lars Bremer, Anett Gottschalk

Nun sind die insgesamt 14 Tafeln als Gesamtschau im Sangerhäuser Spengler Museum vom 9. September bis 14. November zu sehen. Die Ausstellung tägt den Titel "Zehn von Neunundzwanzig" und deutet somit an, dass noch weitere 19 ehemalige Synagogen in Sachen-Anhalt der Entdeckung harren.

Zur Eröffnung am 9. September hielt Dr. Bernd G. Ulbrich (Moses Mendelssohn Gesellschaft, Dessau) einen Vortrag über "Dr. Hermann Cohn und die Entwicklung des Judentums in Deutschland von 1900-1933".

8. Mai - Tag der Befreiung vom Nazi-Regime

Auf Initiative der Partei Die Linke wurde am 8. Mai in Eisleben (Sowjetischer Friedhof), Sangerhausen (Mahnmal Marienkirche) und Rottleberode (Eingang zur Heimkehle) der Opfer gedacht, die von anderen Völkern zu unserer politischen und geistigen Befreiung vom Faschismus gebracht wurden. Mahnung, Dankbarkeit und Freude ist der Inhalt dieses Gedenktages, der - wie von verschiedenen Rednern gefordert - gesetzlicher Feiertag werden sollte. Die Sangerhäuser Initiative Erinnernund Gedenken unterstützte die Veranstaltungen, auf der auch Vertreter der Kirchen sprachen. Aus dem zur Eröffnung in Eisleben gehaltenen Beitrag:

"In der Nacht vom 8. zum 9. Mai 1945 unterzeichneten in Berlin-Karlshorst Vertreter des Oberkommandos der deutschen Wehrmacht vor den Vertretern der Streitkräfte der Anti-Hitler-Koalition die offizielle Urkunde über die bedingungslose Kapitulation Deutschlands. Es war das offizielle Ende eines verbrecherischen Systems, dessen Weltherrschaftspläne, Herrschaftspraxis und Rassenwahn die menschliche Zivilisation generell in Frage gestellt hatten.

Am 8. und 9. Mai feiern wir deshalb nicht nur das Ende des 2. Weltkrieges und damit der NS-Herrschaft. Wir gedenken ebenso jenen Millionen Menschen, die Opfer faschistischer Gewalt und des Krieges wurden. Ungeheure Verbrechen wurden im Namen Deutschlands von Deutschen begangen und die Bilanz des Zweiten Weltkrieges ist eine Bilanz des Schreckens und des Terrors: Mehr als 60 Millionen Menschen starben bei Kampfhandlungen, durch Repressalien, durch Aushungern, durch Massenvernichtungsaktionen und durch Kriegseinwirkungen. Von den 18 Millionen Menschen, die das Naziregime in Konzentrationslager sperrte, wurden elf Millionen ermordet oder durch Zwangsarbeit vernichtet, darunter zehntausende Menschen mit Behinderung, politisch Andersdenkende und Homosexuelle. Unfassbar ist die Shoah, der industrielle Massenmord an sechs Millionen europäischer Jüdinnen und Juden, die – wie auch Sinti und Roma – dem Rassengenozid zum Opfer fielen. Bis heute weitgehend aus dem kollektiven Gedächtnis der Deutschen gelöscht sind die ungeheuren Verbrechen an den Völkern Ost- und Südosteuropas im Rahmen des NS-Raub- und Vernichtungskrieges und der Ideologie vom „Lebensraum im Osten“ und an vielen Menschen in den anderen im Krieg besetzten Staaten. Immer weniger Menschen wissen überhaupt noch, dass den höchsten Blutzoll im Zweiten Weltkrieg die Soldaten der Sowjetunion, sowie die Zivilbevölkerung der Länder im Osten und Südosten Europas zahlten. Und dass der Roten Armee der Hauptanteil an der Befreiung Europas vom Faschismus zu verdanken ist. Wir gedenken aber auch denjenigen unter den Deutschen, die aufgrund ihres politischen und moralischen Widerstandes verfolgt, vertrieben oder eingesperrt und ermordet wurden. Allen voran Kommunisten, Sozialdemokraten und Gewerkschafter, aber auch Christen und konservativ denkende Demokraten, die unter großen Opfern Widerstand geleistet haben. Sie waren eine Minderheit. Die Mehrzahl der deutschen Bevölkerung, deren Leitbild Rassismus und menschenverachtender Fanatismus war, trug das faschistische Terrorregime bis zum Ende. Erst als der Krieg verloren war endete auch das Morden in den Lagern und Kerkern.

Die Völker und Soldaten der Sowjetunion, der Vereinigten Staaten, Frankreichs und Großbritanniens und aller weiteren alliierten Staaten haben für die Befreiung vom Nazi-Faschismus unvorstellbare Opfer erbracht. Ihnen gilt unser Dank. Die Befreiung brachte den Deutschen und den Menschen in weiten Teilen Europas einen nun seit 76 Jahren andauernden Frieden und die Durchsetzung der universellen Menschen- und Freiheitsrechte." WEITER LESEN


27. April - Erinnerung an die Deportation der Sangerhäuser Juden vor 79 Jahren

Aus diesem Anlass ruft die Initiative alljährlich zur Begehung der Stolpersteine auf. Unter den diesjährigen Bedingungen der Pandemie wurde das Putzen der Stolpersteine von Einzelpersonen, dem Jugendclub Theodoor sowie Mitglieder der Jacobi-Gemeinde individuell vorgenommen.

  Beim Putzen der Bronzeplatten entdecken die jungen Helfer:innen Namen und Schicksale, die ihnen vielleicht orientierende Denkanstöße vermitteln.   

Vielfältige Stimmen zum Holocaust-Gedenktag am 27. Januar 2021

  • Oberbürgermeister Sven Strauß wandte sich in einer Video-Botschaft an die Bürgerinnen und Bürger von Sangerhausen: "Auch auf dem Hintergrund der momentan schwierigen Umstände unseres Alltags dürfen wir das Gedenken nicht vernachlässigen. Nicht nur weil der Gedenktag in das Jubiläumsjahr  <1700 Jahre jüdisches Leben in Deutschland>  fällt, sondern auch und gerade, weil die momentane Krise nicht nur Solidarität und Menschlichkeit hervorgebracht hat, sondern auch dunkle Seitenn ..." Zur Videobotschaft HIER.
  • Der Kreis- Kinder- und Jugendring Mansfeld-Südharz e.V. und die Initiative Erinnern und Gedenken Sangerhausen führten anstelle der traditionellen Veranstaltung am Rathaus ein Digitales Gedenken mit 25 Teilnehmern durch. Die Filmbeiträge zu dieser Veranstaltung sind über eine neue Web-Seite  https://stolpern-msh.de/ abrufbar. 
  • Pfarrerin Margot Runge behandelte in ihrer Predigt am Sonntag nach dem 27. Januar die Auseinandersetzung zwischen Bekennender Kirche und Deutschen Christen in der Jacobi-Gemeinde während des Nationalsozialismus. Dabei ging sie insbesondere auf Pfarrer Orphal ein, der sich weigerte die Kollekte an die systemkonforme Landeskirche zu überweisen. In einer Fürbitte erinnerte sie zusammen mit Martina Pohl (KMD) an das breite Spektrum der Opfer des Nationalsozialismus, an erster Stelle Jüdinnen und Juden, Roma und sinti, politische Verfolgte, Lesben und Schwule u. a. Der Text der Predigt ist abrufbar: HIER. Auch de Gedenkgottesdienst ist nacherlebbar: HIER. 

Rundbrief 13 erschienen

In dem Rundbrief wird über neue Erkenntnisse zur Geschichte der jüdischen Familie Pintus berichtet. Ein Rezensionshinweis empfiehlt die Briefe die Helmuth James von Moltke in den Monaten vor seiner Hinrichtung mit seiner Freya von Moltke wechselte. Zum Rundbrief:

Zur Diskussion gestellt: Erinnerungsarbeit oder "Gedächtnistheater" (Czollek / Friedman)

Hier finden Sie den Text aus dem Evangelischen Magazin Chrismon Nr. 01.2021, S. 27-29. 

Aus der zurückliegenden Arbeit:

01.10.2020 "Die Zeugen haben das Wort..." Lesung und Diskussion - ein Jahr nach dem Anschlag in Halle

Nur wenige Interessierte fanden sich in der Oase ein und konnten anhand von Zeugenaussagen in dem Prozess gegen Stephan B. vor dem Gericht in Magdeburg nachempfinden, was die Betroffenen am 9. Oktober 2019 in der Synagoge von Halle erlebt hatten. Die anschließende Diskussion suchte Antwort auf die Frage, wie ein junger Mensch mit einem (scheinbar) ganz normalen Lebenslauf zu einem zynischen, hassgetriebenen Mörder werden konnte. Monokausale Erklärungen versagen hier, aber der Tatsache, dass Feindbilder die öffentliche Diskussion im weitesten Sinn bestimmen, wurde eine Mitwirkung zugeschriebnen, neben dem Hassphänomen in den sogenannten "sozialen" Netzwerken. Der Abend wurde beschlossen mit Musik zhu jüdischen Themen, u.a. dem "Kol Nidrei" von Max Bruch.  

9. Ausgabe der Poster-Serie "Synagogen und Jüdische Kultur in Sachsen-Anhalt" erschienen


8. Mai 2020 - Kleine Gedenkveranstaltung zu Kriegsende und Befreiung auf dem Marktplatz von Sangerhausen

Die Begrüßung und Ansprache der etwa 25 versammelten Personen erfolgte durch Holger Hüttel:

"Das Kuratorium 75 Jahre Frieden in Sangerhausen hatte eigentlich für den heutigen Tag ein großes Friedensfest in Planung und in Teilen bereits vorbereitet. Leider hat uns Corona hierbei einen Strich durch die Rechnung gemacht und alle geplanten Veranstaltungen, wie der Glockenguss, die Diskussionsrunden mit Zeitzeugen, die Filmveranstaltungen, die Menschenkette welche sich am heutigen Tag, sogar in dieser Stunde, zwischen den Kirchen und dem Rathaus bilden sollte und wir dann gemeinsam,  intoniert von unseren Glocken, sowohl von den Kirchlichen, wie auch die neu gegossenen Ratsglocke, das Lied "Kleine weiße Friedenstaube" singen wollten. Und viele weitere kleinere Events, die ich hier gar nicht alle aufzählen kann.

All dies ist leider derzeit nicht möglich. Selbst verständlich werden die Organisatoren alles daran setzen, dass alle geplanten Veranstaltungen im Rahmen des Festjahres "75 Jahre Frieden in Sangerhausen" nachgeholt werden können.

Um trotzdem dem heutigen Tag, dem Ende dieses fürchterlichsten Krieges und der Nazidiktatur vor 75 Jahren zu gedenken, und uns an die Verbrechen die von deutschem Boden aus begonnen wurden zu erinnern, wollen wir mit der heutigen Veranstaltung, in dem zur Zeit möglichen Rahmen, ein Zeichen setzen.

Nachdem doch schon einige am heutigen Nachmittag den einen oder anderen der 17 bereits verlegten Stolpersteine gereinigt haben, um vor allen den Opfern des über 12 Jahre währenden Faschismus, welche auch in unserer Stadt sein Unwesen getrieben hatte, zu erinnern und zu gedenken, habe wir uns hier versammelt.

Ein Nie wieder sollte in den Köpfen aller Menschen, wie auch in unserer Stadt verankert sein oder wieder in Erinnerung gerufen werden.

Wie geht dies besser, als mit dem Start des Symbols für Frieden, nämlich der Taube, der Friedenstaube.

Die Taube als Friedenssymbol war bereits in vor-biblischer Zeit bekannt. Auf alten Steintafeln aus dieser Zeit gab es schon Abbildungen von Tauben mit einem Olivenzweig im Schnabel.

Jeder kennt sicherlich aus den biblischen Sintflut-Erzählungen die Rolle der Taube als froher Botschafter. Eine Taube kehrt mit einem Olivenzweig auf die Arche zurück.

1949 auf dem Weltfriedenskongress in Paris hat Pablo Picasso das wohl heute verbreitetste Bild als Symbol für Frieden entworfen und lithographiert. 1955 erhielt er für seine Lithographie den Weltfriedenspreis.

Seitdem ist diese Taube, die Friedenstaube als weltweites Symbol für Frieden und die Friedensbewegung bekannt. Sie regte viele Grafiker und Künstler in den Folgejahren an, um über dieses Bild einer Taube auf den Wunsch nach Frieden hinzuweisen."

Holger Hüttel verwies abschließend auf das in der DDR weithin bekannte Lied "Kleine weiße Friedenstaube", das von einer Nordhäuser Kindergärtnerin verfasst wurde. Danach stiegen weiße Tauben vom Sangerhäuser Markt auf und viele Teilnehmer begaben zur Marienkirche. Auf dem Weg dorthin wurden an den Stolpersteine Blumen niedergelegt, ebenso am Mahnmal selbst.


3. März 2020 - Auf den Spuren der Todesmärsche im Landkreis Mansfeld-Südharz


Eine Lesung aus Erinnerungen französischer und jüdischer Häftlinge brachte die dramatischen Ereignisse der Evakuierungsmärsche aus dem KZ Langenstein-Zwieberge im April 1945 zu Gehör. Im Mittelpunkt stand das Geschehen zwischen Quenstedt und Sandersleben. Eine Teilnehmerin berichtete spontan, dass zur gleichen Zeit ein Häftlingszug auch Beyernaumburg passierte. Bei einem Fluchtversuch wurden dort vier polnische Häftlinge erschossen. MEHR

27. Januar 2020 - Holocaustgedenken in Sangerhausen

Am Holocaustgedenktag versammelten sich um 12 Uhr mittags etwa 40 Personen an der Gedenktafel am Sangerhäuser Rathaus, um der Opfer des Holocaust aller Länder zu gedenken. Oberbürgermeister Sven Strauß zitierte in seiner Begrüßung Karl Stojka, einen Überlebenden aus der von den Nazi verfolgten Gruppe der Sinti und Roma: „Nicht Hitler, Göring, Goebbels, Himmler und wie sie alle hießen haben mich verschleppt und geschlagen. Nein, es war der Schuster, der Nachbar, der Milchmann. Und dann haben sie eine Uniform, eine Binde und eine Haube bekommen und dann waren sie die Herrenrasse.“

Nach einer Schweigeminute wurden auch die Namen der Sangerhäuser Opfer des Rassenwahns verlesen, darunter 27 jüdische Frauen, Männer und Kinder sowie 3 nichtjüdische Patientinnen, die im Rahmen der T4-Aktion in psychiatrischen Anstalten ermordet wurden. MEHR


Zum Abschluss der Veranstaltung überreichte die Landrätin Frau Dr. Klein der Initiative Erinnern und Gedenken ein "Friedenslicht" und erläuterte den Sinn dieses Symbols. Es wurde von österreichischen Pfadfindern initiiert und ruft inzwischen in vielen Ländern zu einer Ächtung der Gewalt auf.

Aus der Arbeit 2020:

Poster "Aschersleben" in der Serie "Synagogen in Sachsen-Anhalt" erschienen


Rundbrief 9 erschienen

  1. Spuren der Todesmärsche im Landkreis Mansfeld-Südharz
  2. Projekt "Digitales Gedenkbuch der Sangerhäuser Kriegstoten 1. Weltkrieg"
  3. Das Vermächtnis von Langenstein-Zwieberge. Leseempfehlung Nr. 5: Arno Lustiger

Rundbrief 9 LESEN

Rundbrief 8 LESEN

Rundbrief 7 LESEN

Rundbrief 6 LESEN

Rundbrief 5 LESEN

Rückblicke:

Oberbürgermeister Sven Strauß, Sangerhausen, zum Volkstrauertag am 17. November 2019

Meine sehr geehrten Damen und Herren,

mir fallen zu dem heutigen Volkstrauertag Worte von Kurt Tucholsky ein: „Jeder Krieg ist eine Niederlage. Denn Krieg vernichtet Leben.“

Wir gedenken heute der Opfer des Ersten und des Zweiten Weltkrieges, der Opfer von Krieg und Gewaltherrschaft.

Wir erinnern an die ungeheure Zerstörungskraft industriell geführter Kriege.

Wir erinnern an die Blindheit, mit dem Hass und der Gewalt, die aus  nationaler Überheblichkeit und ideologischer Verblendung erwuchsen.

Wir erinnern aber auch an Massenmorde, den millionenfachen Tod von Kriegsgefangenen durch unmenschliche Behandlung, Hunger und Seuchen.

Wir erinnern an die Vertreibung ganzer Bevölkerungsgruppen aus ihrer Heimat und an neue Grenzziehungen.

Meine sehr geehrten Damen und Herren,

wir haben uns versammelt, weil wir die Kinder, die Frauen und Männer aus unserer Stadt Sangerhausen, aus Deutschland, aus ganz Europa und aus vielen anderen Ländern nicht vergessen wollen, die Opfer kriegerischen und rassistischen Wahnsinns geworden sind.

Wir haben in den letzten Wochen und Monaten viele Bilder aus unserer unmittelbaren Nachbarschaft, nämlich aus der Stadt Halle sehen müssen, die so unendlich traurig und vor allem unbegreiflich waren. Andere wegen ihrer Herkunft oder ihrem religiösen Glauben zu diskriminieren oder zu verurteilen, darf in unserer Zeit nicht stattfinden. In solchen Momenten tut es gut zu wissen, dass es eine große Gemeinschaft gibt, Menschen, die Toleranz zeigen. Das, was in Halle passiert ist, geht uns alle an.

Mehr Worte bedarf es dazu nicht!

Im Gedenken an die Toten und Opfer von Krieg und Gewalt lege ich gemeinsam mit der Landrätin des Landkreises Mansfeld-Südharz, Dr. Angelika Klein, dieses Kranz nieder.

Lassen sie uns in diesem Sinne mit einer Schweigeminute aller Opfer von Zerstörung und Gewalt gedenken.

Gedenkveranstaltung für Walter Telemann am 4. August 2019 aus Anlass des 75. Jahrestages seiner Hinrichtung

Am Denkmal für Walter Telemann gegenüber der ehemaligen Maschinenfabrik Sangerhausen (An der Probstmühle) versammelten sich in den Nachmittagsstunden 17 überwiegend ältere Sangerhäuser, denen die Erinnerung an Walter Telemann wichtig ist. Die Gedenkrede mit neuen Erkenntnisse über seine Kriegserlebnisse und die mutmaßlichen Gründe seiner Verweigerung des Kriegsdienstes hielt Holger Hüttel.



Nr. 5 der Posterserie "Synagogen und jüdische Kultur in Sachsen-Anhalt"- "Halle - Teil 1" ist erschienen und wird noch vor dem 1. September ausgeliefert


In kooperation mit der Initiative "Erinnern und Gedenken" und dem Sozio-Kulturverein "Oase" besuchten vier 9. Klassen der Thomas-Müntzer-Schule Sangerhausen die Synagoge in Halle


Für viele war es am 27. Juni bzw. 1. Juli 2019 die erste Begegnung mit dem Judentum, und ganz besonders mit jüdischem Leben in unserer Region. "Altersgemäße Betreuung" hatte die Jüdische Gemeinde Halle angeboten und nicht viel älter als die Besucher waren auch die beiden Studierenden der Judaistik, die uns führten und sachkundig erklärten, wie sich in der Ausstattung eines jüdischen Gebetshauses Glaubensinhalte und jüdische Geschichte ausdrücken. Und auch die Kippa, die alle Jungen gern am Eingang in Empfang nahmen: Identitätsmerkmal vielleicht, in erster Linie aber Ausdruck einer Ehrfurcht vor Gott in Räumen, in denen sich die Begegnung mit ihm ereignet.

Im Mittelpunkt der jüdischen Religion steht die Tora, hören wir, die fünf Bücher Moses, auf Pergamentrollen fehlerlos von Hand geschrieben und im Toraschrein, dem Zentrum jeder Synagoge aufbewahrt. Wir sind aufgefordert, Fragen zu stellen. "Gibt es in der jüdischen Religion eine Beichte?" will ein Mädchen wissen. Nein, diese Funktion hat im Judentum der Jom Kipur, der jährliche Versöhnungstag, an dem man sein Leben überprüfen und Rechenschaft ablegen kann vor sich selbst und vor, erläutert unsere Betreuerin Eva-Maria Thiele.

"Wie wird man eigentlich Jude oder Jüdin?" lautet eine andere Frage. Herr Klein, der Betreuer am 2. Besuchstag,  zögert einen Moment und stellt dann als erstes fest: Das Judentum ist keine missionarische Religion. Man wird hineingeboren. Wer eine jüdische Mutter hat, ist nach jüdischer Auffassung Jude, auch wenn er selbst nicht religiös ist. Die Möglichkeit, sich aus anderer Herkunft dem Judentum anzuschließen, ist sehr kompliziert und langwierig, wenn auch prinzipiell möglich.

Es waren viele weitere Fragen, die angesprochen oder von den Jugendlichen aufgeworfen wurden. Das Gespräch endet mit einem Rundgang auf dem anliegenden Friedhof. Die jetzige Synagoge war ursprünglich Trauerhalle, die große Synagoge am Berlin wurde 1938 niedergebrannt. Von den damals mindestens 600 Mitgliedern der Gemeinde gelang einigen die Flucht, die Verbliebenen waren Erniedrigungen und schweren Misshandlungen ausgesetzt, der Weg führte schließlich in die Konzentrations- und Vernichtungslager.

Dennoch war es möglich, nach 1945 eine kleine Gemeinde neu aufzubauen, sie blieb klein, weil lebendige Verbindungen zum Judentum in aller Welt und nach Israel sehr erschwert waren. Erst nach 1989 beginnt ein neuer Abschnitt mit Zuzug besonders aus der ehemaligen Sowjetunion. Die Gebetbücher sind heute deswegen mehrsprachig: Hebräisch, Russisch, Deutsch. Zur Zeit hat die Gemeinde wieder ungefähr 600 Mitglieder.

Wir warten auf den Bus, der uns nach Sangerhausen zurückbringen soll, und ich frage nach Eindrücken. Wir haben viel gesehen und gehört, höre ich, manches wurde nur kurz angesprochen werden, doch es hat sich gelohnt. "Für mich bleibt eine Frage", sagt eine Lehrerin: "Das Judentum ist eine Religion wie andere Religionen auch, unserem Christentum sogar verwandt, aber woher kommt schon seit Jahrhunderten immer wieder dieser Hass auf die Juden. Ich suche darauf eine Antwort." Vielleicht müssen wir die Antwort außerhalb der Synagoge suchen. 


Leseempfehlung

Ein junger Historiker aus unserer Region geht in einer umfassenden Studie über die Endphase der Konzentrations- und Zwangsarbeiterlager, insbesondere während der Evakuierungsmärsche, auch auf Vorfälle in unserer Gegend ein. Mit wenigen Ausnahmen betrachtete die ländliche Bevölkerung die erschöpften Häftlinge als gefährliche Feinde und beteiligte sich bei Fluchtversuchen sogar an Verbrechen.

Am 9. April 1945 wurden mehrere Tausend Häftlinge des KZ Langenstein-Zwieberge (südlich von Halberstadt) vor den anrückenden Amerikanern auf einen Marsch nach Wittenberg getrieben. Die Route führte über Quedlinburg nach Aschersleben und weiter in Richtung Köthen. Bei einem Halt in Quenstedt versteckten sich einige Häftlinge im Ort, andere versuchten die Flucht in die Felder. Der Bürgermeister aktivierte den örtlichen Volkssturm und die HJ, darunter bewaffnete Jugendliche unter 18 Jahren. Sie waren angewiesen, die Flüchtigen zum Häftlingsmarsch zurückzubringen und bei Widerstand oder Erschöpfung von der Waffe Gebrauch zu machen. Im Zuge dieser Aktion wurden 8 Häftlinge ermordet. Ein 9. Häftling wurde nicht entdeckt und nach zwei Tagen von den Amerikanern gefunden. Es handelte sich um den Arno Lustiger, der später als französischer Zeithistoriker bekannt wurde und am 27. Januar 2005 zu einer Rede vor dem Deutschen Bundestag eingeladen wurde.

In dem wenige Kilometer entfernten Harkerode war einer größeren Anzahl von Häftlingen die Flucht in ein Waldstück gelungen. Auch hier organisierte der Bürgermeister mit HJ und Freiwilligen aus der Bevölkerung das Aufstöbern und die Erschießung der Flüchtigen. 11 Menschen wurden ermordet. Ein Beteiligter sagte später aus: „Nachdem die Waffen verteilt wurden, schwärmten wir aus, als ob wir zur Hasentreibjagd gingen.“

Zur Rekonstruktion der Ereignisse benutzt der Autor Prozessakten aus Nachkriegszeit um 1949. Die Verbrechen wurden geahndet, aber die Strafen für die meist jugendlichen Mörder blieben gering. Als strafmindernd nannten die Urteile die „faschistische Verhetzung der Jugend“. Gegen einen Volkssturmmann, der früher Mitglied der Kommunistischen Partei gewesen war, wurde entsprechend eine wesentlich höhere Strafe verhängt: „Er hätte es wissen müssen.“ Bei aller Bedingtheit der damaligen Rechtsprechung, war es doch ein erster Versuch der Aufarbeitung der örtlichen Geschichte.

Martin Clemenz Winter promovierte mit dieser Arbeit an der Universität Leipzig und ist seit 2017 Referent beim Oberbürgermeister der Stadt Leipzig mit dem Schwerpunkt Erinnerungskultur und Gedenkveranstaltungen.

Rückblicke:

27. Januar 2019 - Holocaust-Gedenktag. In Sangerhausen 12:00 Uhr an der Gedenktafel am  Rathaus

Zahlreiche Sangerhäuser und Sangerhhäuserinnen trafen sich zu der Gedenkminute am Rathaus. Oberbürgermeister Sven Strauß hielt die Gedenkrede, Vertreter der jungen Generation verlasen die Namen der Sangerhäuser ermordeten Jüdinnen und Juden sowie der Opfer der sogenannten Euthanasie (Patientenmorde). Dabei wurde auch der Vernichtungsorte gedacht, wo die Lebenswege endeten. Auf Anregung von Dietrich Wächter kamen Texte aus dem "Gesang vom ausgerotteten jüdischen Volk" von Jizchak Katznelson zum Vortrag.


Nachruf auf Arthur Fleischmann gefunden

Arthur Fleischmann konnte 1938 in die USA flüchten. Sein Plan, die Eltern, seine Schwester und Nichte nachzuholen misslang. Die Familie wurde am 29. April 1942 von Sangerhausen aus deportiert und Anfang Juni 1942 in Sobibor ermordet. Wie hat Arthur als einziger Überlebender diese Tragödie verkraftet, was für ein Mensch war er? Vieles wird nie mehr zu rekonstruieren sein sein. Aber ein kürzlich zugänglich gewordener Nachruf wirft ein Licht auf seine Persönlichkeit. Weiter lesen!

Leseempfehlung: Ein aufschlussreiches Buch über Heinrich Loewe

Der Name der Familie Loewe ist in Sangerhausen bekannt durch die in der Goepenstraße verlegten Stolpersteine für Moritz und Henriette Loewe. Nun ist ein Buch erschienen, das Heinrich Loewe, einem älteren Bruder von Moritz Loewe gewidmet ist. Die Dissertation trägt den Titel „Heinrich Loewe. Zionistische Netzwerke und Räume“ (Berlin: Neofelis 2018) und entwirft das Bild einer faszinierenden Persönlichkeit, die sich schon in jungen Jahren völlig und mit enormem Engagement in den Dienst der zionistischen Idee stellte und damit zu einem der geistigen Gründungsväter Israels wurde. Der Autor Frank Schlöffel enthüllt das Panorama der Diskussionen um jüdische Identität und geistig-politische Orientierung des Judentums, die an der Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert in der damals jungen Metropole Berlin geführt wurden.  

Das Buch ist alles andere als eine trockene akademische Abhandlung, man gewinnt beim Lesen vielmehr den Eindruck, als sei die elektrisierende Atmosphäre der Diskurse im frühen Zionismus auf Geist und Stimmung der „Jüdischen Studien“ an der Potsdamer Universität übergesprungen. Dazu trägt auch eine innovative Terminologie bei. So erhalten die Freunde und Mitstreiter Heinrich Loewes in Berlin das Label „nationaljüdisches Kollektiv“, aus studentischen Versammlungsorten in wechselnden Cafés und Hotels entstehen „zionistische Räume“, die Korrespondenz der jungen Akteure über Land schafft gar einen „nationaljüdischen Archipel“. Diese Zuschreibungen mögen leicht überhöht wirken, verleihen der Darstellung aber einen besonderen Schwung.  

Der gewichtigste Ertrag des Buches besteht darin, dass nun die Biographie Heinrich Loewes, sein publizistisches Werk und der Nachlass gut aufgeschlüsselt vor uns liegt. Er wurde 1869 in Wanzleben geboren, und wir erfahren Wichtiges über die Atmosphäre in seinem Elternhaus, die Schulzeit in Magdeburg am Domgymnasium und erleben gleichsam mit, welche Welt sich dem jungen Studenten an der Berliner Universität, und mehr noch durch seine Kontakte mit jüdischen Kreisen in der Reichshauptstadt öffnete.  

Heinrich Loewe studierte Geschichtswissenschaft und Orientalistik und hörte gleichzeitig Vorträge an der [privaten] „Hochschule für die Wissenschaft des Judentums“. Eine besonders intensive Lebensphase mit einer Vielzahl von Aktivitäten beginnt 1892 in den letzten Studienjahren, verstärkt sich nach Abschluss des Studiums 1894, und führt zu einem ersten Höhepunkt in der Zeit vor und nach dem 1. Zionistenkongress 1897 und währt bis zum Beginn seiner Ausbildung als Bibliothekar an der Berliner Universitätsbibliothek im Jahr 1899. Heinrich Loewe entwickelte in diesen Jahren ein enormes Engagement für das zionistische Projekt durch Gründung „nationaljüdischer“ Vereine und Zeitschriften, durch Vorträge und Veröffentlichungen, zwei Reisen nach Palästina, Organisation eines Palästina-Pavillions auf der Berliner Gewerbeausstellung 1896  und schließlich seine Beteiligung an den Zionistenkongressen seit 1897. So wurde er schon in jungen Jahren eine international bekannte und geachtete Persönlichkeit in der jüdischen Welt. Was hat ihn dazu befähigt?        

Schon als Gymnasiast las er mit Begeisterung in der „Geschichte der Juden“ von Heinrich Graetz, und bei seinem Religionslehrer, Dr. Rahmer, zugleich Rabbiner Magdeburg, lernte er das publizistische Handwerk kennen, als dieser ihn zur Mitarbeit an der „Israelitischen Wochenschrift“ heranzog.  

Das entscheidende Ereignis scheint jedoch in der Berliner Zeit die Bekanntschaft mit jüdischen Emigranten aus Russland gewesen zu sein, die sich in einem „Russisch-jüdischen wissenschaftlichen Verein“ zusammengeschlossen hatten. Von diesen, meist älteren Kommilitonen hörte Loewe von den „Zionsfreunden“ in Russland, die aus dem vielerorts virulenten Antisemitismus die Schlussfolgerung einer Rückkehr in das Land ihrer Väter gezogen hatten. Der Kern dieses frühen Zionismus, lange vor Theodor Herzl, lag in der Überzeugung, dass die Juden nicht nur eine Religionsgemeinschaft darstellen, wie die „Staatsbürger mosaischen Glauben“ behaupteten, sondern sich als eigenständiges Volk, als Nation begreifen sollten. Konstitutiv für dieses entstehende Nationalbewusstsein wurde neben der Religion die Erinnerung an große Momente der jüdischen Geschichte, die bitteren Erfahrungen des Exils, ferner die Pflege der alle Juden verbindenden hebräischen Sprache und schließlich das Ziel der Überwindung der Diaspora durch Gründung autonomer Kolonien in Palästina.  

Diese Berichte müssen Heinrich Loewe außerordentlich bewegt haben, denn schon als Student begann er für diese Ideen propagandistisch zu wirken. Zum Schrecken seiner Familie fasste er sogar den Entschluss, selbst nach Palästina auszuwandern. Dazu kam es zunächst noch nicht, aber nach Beendigung des Studiums unternahm er 1894 zusammen mit einem Gesinnungsgenossen seine erste Palästinareise, um die dort entstandenen Kolonien der russischen Zionsfreunde zu besuchen.Über seine Erfahrungen berichtete er nach der Rückkehr in Zeitschriften und organisierte Lichtbildervorträge, um ein anschauliches Bild der jüdischen Kolonien in Palästina zu vermitteln.

Diese  Projekte fanden unter deutschen Juden damals nur wenig Anklang, sie stießen sogar auf Ablehnung in ganz verschiedenen Lagern. Arrivierte Kreise, die sich inzwischen gut integriert hatten, fühlten sich in Deutschland sicher und dachten gar nicht daran, mit dem Spaten in der Hand das Land der Väter wieder urbar zu machen. Auch gab es religiöse Vorbehalte: Das Exil war aus Sicht frommer Juden ein Element des göttlichen Heilsplanes und konnte erst durch die Ankunft eines neuen Messias beendet werden. Heinrich Loewe setzte sich mit diesen Argumenten in einer Vielzahl kleiner Schriften auseinander – das Schriftenverzeichnis, das nun vorliegt, umfasst mehr als 400 Titel – aber er wollte zugleich praktische Hilfe für die Kolonisten leisten und organisierte nach seiner Rückkehr einen Palästina-Pavillion auf der Berliner Gewerbeausstellung 1896, um den Absatz von Weinen aus Palästina zu fördern.

Im Jahr 1897 kam es zu einer zweiten Palästinareise, auf der sich Loewe stärker für das noch ganz in den Anfängen liegende zionistische Bildungswesen interessierte. In diese Zeit fielen auch die Diskussionen über Theodor Herzl, der gerade seinen „Judenstaat“ veröffentlicht hatte und einen internationalen Zionistenkongress ankündigte. Heinrich Loewe hatte die große Ehre, zum Vertreter des Jischuv – so der Name der in Palästina ansässigen Judenschaft – gewählt zu werden. In dieser Funktion nahm er dann auch an dem Kongress in Basel teil.

Für mich waren die Kapitel über Heinrich Loewes Studentenjahre und seine ersten Begegnungen mit Palästina besonders interessant und anregend. Frank Schlöffel verfolgt natürlich auch die weiteren Lebensabschnitte: Promotion und feste Anstellung als Bibliothekar an der der Berliner Universität, Emigration 1933, Leitung der Stadtbibliothek in Tel Aviv und schließlich die letzten, persönlich nicht leichten Lebensjahre im neuen Staat Israel. Heinrich Loewe ist 1951 gestorben, als sein großes Lebenswerk erscheint die Sammeltätigkeit für eine Jüdische Nationalbibliothek, verbunden mit konzeptioneller Arbeit über die Rolle von Bibliotheken in der nationalen Bildungsarbeit.

Ist nun mit dieser gut recherchierten Arbeit, die auch aus unveröffentlichten Memoiren schöpfen konnte, die Persönlichkeit Heinrich Loewes vollständig erfasst und sind alle Fragen, die sein Wirken aufwirft, beantwortet? Heinrich Loewe hat im Laufe der Jahre außerordentlich viel in Zeitschriften veröffentlicht, und hier wäre eine zumindest exemplarische Analyse seiner Position angesichts der großen, nicht nur die Juden betreffenden Zeitereignisse wünschenswert gewesen. Wie hat er auf die Entwicklungen zum Ersten Weltkrieg reagiert, die Niederlage Deutschlands, die Weimarer Republik und den aufkommenden Nationalsozialismus beurteilt? Ein großes Thema, das der Bearbeitung harrt.  

Heinrich Loewe hat zudem einige größere Werke hinterlassen, auf die in diesem Buch nicht oder nur am Rande eingegangen wird. Dazu gehört neben seiner Dissertation besonders die Schrift „Die Juden in der katholischen Legende“, die wegen ihres methodischen Ansatzes nichts von ihrer Aktualität verloren hat.  

Andererseits gehörte Loewe zu den jüdischen Vertretern der Rassentheorie. Mehr oder weniger teilte er die Auffassungen von Elias Auerbach, der das Judentum als „Fortpflanzungsgemeinschaft“ definierte und es für die Rasse par excellence hielt. Diese problematischen Auffassungen wurden von Schlöffel zwar angesprochen, aber nicht ausreichend kritisch hinterfragt. Und spannend wäre auch die Frage gewesen: Haben sich die Ideale und Wertvorstellungen, mit denen Loewe für den Zionismus publizistisch und praktisch organisatorisch ins Feld zog, in der tatsächlichen Entwicklung Palästinas bzw. Israels durchgesetzt? Welche Wirkungen musste ein exklusiver Nationsbegriff haben, und wie sah Loewe, der ja als Orientalist arabisch sprach und früh Kontakte mit der arabischen Welt hatte, das Verhältnis zu der nichtjüdischen Bevölkerung Palästinas? Auch das Wirken von Heinrich Loewe verweist also auf Fragen und Probleme, die nach wie vor der Lösung harren.  

Für uns, vor Ort in Sangerhausen, sind die Forschungen über Heinrich Loewe – neben dem Buch von Frank Schlöffel wären die Arbeiten von Erik Petry zu nennen – so willkommen, weil sie uns einen Einblick in die Denk- und Lebenswelten der Familie Loewe vermitteln. Wir kannten bislang nur Bruchstücke der persönlichen Korrespondenz von Heinrich an Moritz Loewe, meist Postkarten aus dem Urlaub, oder sahen den „Onkel Heinrich“ auf Familienfotos. Und wie interessant wäre es, seine unveröffentlichten Memoiren, aus denen die Forscher schöpfen konnten, zur Hand zu haben und den Spuren zu den Sangerhäuser Loewes nachzugehen. Im neuen Licht erscheint aber schon jetzt, dass der älteste Sohn von Moritz und Henriette Loewe, Heinrich, lange vor 1933 nach Palästina ging und dort in der Landwirtschaft tätig wurde. Es gibt also viele Gründe, für dieses Buch eine besondere Leseempfehlung auszusprechen!  

Peter Gerlinghoff  

Rückblick: Holocaustgedenktag 2018

Anlässlich einer Gedenkminute aus Anlass des Holocaustgedenktages am 27. Januar, 11 Uhr, an der Gedenktafel am Rathaus in Sangerhausen wurden die Namen von 26 Sangerhäuser Jüdinnen und Juden verlesen, die in den Vernichtungslagern umkamen, sowie 3 Namen von Sangerhäuser Frauen, die der NS-Euthanasie (Patientenmorde) zum Opfer fielen. Die Gedenkrede hielt Oberbürgermeister Sven Strauß.


Neue Mitstreiter

Die Initiative Erinnern und Gedenken hat einen neuen Partner gefunden. Im Christlichen Jugend- und Kulturzentrum TheOdoor beginnt ein Projekt "Geschichte aufspüren". Es will Jugendliche an das "dunkelste Kapitel der Geschichte, die NS-Zeit" heranführen. Ansprechpartner: Herr Gerold Peetz, Email: post@theodoor.de. Erhältlich ist auch dieser Flyer.

Gegen Geschichtsrevision - Initiative nimmt Stellung

Mit der Alternative für Deutschland (AfD) formuliert erstmals eine in den Parlamenten vertretene Partei Einwände gegen die heutige Erinnerungsarbeit. Im Parteiprogramm der AfD heißt es dazu: „Die aktuelle Verengung der deutschen Erinnerungskultur auf die Zeit des Nationalsozialismus ist zugunsten einer erweiterten Geschichtsbetrachtung aufzubrechen, die auch die positiven, identitätsstiftenden Aspekte deutscher Geschichte mit umfasst.“ Dieser harmlos klingende Satz bringt nicht zum Ausdruck, worum es der Partei geht ...  Weiterlesen.

Rückschau: Volkstrauertag 2017

Die Initiative Erinnern und Gedenken nahm am 18. November an der Krazniederlegung am Mahnmal auf dem Sangerhäuser Friedhof teil. Für die Initiative sprach Dr. Peter Gerlinghoff über das Kriegsjahr 1917. Weiterlesen.


Rückschau: Pogromnachtgedenken 2017


 

96 Schülerinnen und Schüler von der Thomas-Müntzer- Schule und der Heinrich-Heine-Schule nahmen an der Veranstaltung in der Kreis-Musikschule in Sangerhausen teil.

Rückschau: Pogromnachtgedenken 2016

Sangerhausen 10. November 2016

12 Uhr Marienkirche - Auftakt zur Begehung der Stolpersteine durch Jugendliche des Geschwister Scholl Gymnasiums. Die drei achten Klassen wurden durch Ernst-Albrecht Henke begrüßt und teilten sich dann in 7 Gruppen auf, die an den Stolpersteinen an die Opfer des Nationalsozialismus erinnerten und ihren Widerstand würdigten. anschließend wurden die Gedenkplatten gereinigt.

 

Eine Gruppe nahm sich die Verlegestelle an dem Hüttenstraße 26 vor. Dort lebte vor der Deportation und Ermordung die Familie Fleischmann mit drei Generationen.

Volkstrauertag 2016 am 13. November: Gedenken am Mahnmal auf dem Sangerhäuser Friedhof

Nach der Eröffnung durch den Oberbürgermeister der Stadt Sangerhausen, Ralf Poschmann, sprachen für die Initiaitve Erinnern und Gedenken Dr. Peter Gerlinghoff und für den Sangerhäuser Geschichtsverein Helmut Loth.

Als mahnende Beispiele wurden zwei Schicksale von Soldaten des 1. Weltkrieges herausgestellt, die in Sangerhausen, von den Schlachtfeldern kommend, nach schweren Verwundungen verstarben.

 Der Hauptmann und Kompaniechef Karl Dreßler vom Rheinischen Infanterie Regiment 160, ein Mann in den besten Jahren, überlebte die ersten vier Kriegsmonate nicht.

Der knapp neunzehnjährige Füsilier Kurt Hoffmann erlebte das Kriegsende im Lazarett und hatte noch 7 Monate Siechtum vor sich, bis er am 24. Juli 1919 in Sangerhausen verstarb. 


Rückblick: Stolpersteinverlegung am 2. Oktober 2015

Am 2. Oktober 2015 wurden wiederum unter Beteiligung von Jugendlichen, darunter Schülern und Schülerinnen des Geschwister-Scholl-Gymnasiums und einer Kath. Pfadfindergruppe Erinnerungszeichen für Klara Merkelt,Therese und Erhard Meyerstein, Sofie Luise Gorek und Alban Hess. verlegt. Siehe auch  Bildergalerie.

Rückblick: Eröffnung der Ausstellung Rosen in Ravensbrück" im Europa Rosarium Sangerhausen am 5. September 2015

Die von der Mahn- und Gedenkstätte Ravensbrück, dem ehemaligen Frauen-konzentrationslager, erstellte Ausstellung zeigt die Bedeutung der Rose in der Erinnerungskultur. Der Franzose Michel Kriloff, 1942 Zwangsarbeiter im Rosarium, züchtete 1973 eine Erinnerungsrose "Résurrection" (Auferstehung). Über die Geschichte dieser Rose sprachen u. a. Marie-France Cabeza-Marnet und Francoise Marchélidon von "Amicale Ravensbruck" (Paris). Siehe auch  Bildergalerie.

Rückblick: Erinnerung an nationalsozialistische Patientenmorde

Am 7. März 2015 wurden vor dem Johannesstift in Magdeburg, Pfeifferstraße 10, für Martha Böttcher und Johanna Querndt Stolpersteine verlegt. Als geistig bzw. körperlich Behinderte wurden die beiden Sangerhäuserinnen zwischen Mai und August 1941 in der Anstalt Uchtspringe ermordet.

Vorbildlich: Schüler übernehmen Patenschaft für Stolpersteine

Die Arbeitsgemeinschaft "Schule ohne Rassismus" des Geschwister-Scholl-Gymnasiums Sangerhausen übernimmt eine Patenschaft über die in Sangerhausen verlegten Stolpersteine. "Man muss etwas machen, um selbst keine Schuld zu haben", lautet es in der Selbstverpflichtung. Bei den Stolpertseinverlegungen sind die Schülerinnen und Schüler nicht nur Gäste, sondern Mitwirkende.

 

 

JüdOpfer1.pdf (4.04MB)
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